Der Freygeist
Die Krähen schrei’n Und ziehen schwirren Flugs zur Stadt:
Bald wird es schnei’n –
Wohl dem, der jetzt noch – Heimat hat!
Nun stehst du starr,
Schaust rückwärts, ach! wie lange schon!
Was bist du, Narr,
Vor winters in die Welt entflohn?
Die Welt — ein Tor
Zu tausend Wüsten stumm und kalt!
Wer das verlor,
Was du verlorst, macht nirgends Halt.
Nun stehst du bleich,
Zur Winter-Wanderschaft verflucht,
Dem Rauche gleich,
Der stets nach kältern Himmeln sucht.
Flieg, Vogel, schnarr
Dein Lied im Wüstenvogel-Ton! –
Versteck, du Narr,
Dein blutend Herz in Eis und Hohn!
Die Krähen schrei’n
Und ziehen schwirren Flugs zur Stadt:
Bald wird es schnei’n,
Weh dem, der keine Heimat hat!
Daß Gott erbarm‘!
Der meint, ich sehnte mich zurück
In’s deutsche Warm.
In’s dumpfe deutsche Stuben-Glück!
Mein Freund, was hier
Mich hemmt und und hält, ist dein Verstand,
Mitleid mit dir!
Mitleid mit deutschem Quer-Verstand!
Was sagt dein Gewissen ?
Du sollst der werden der du bist!
„Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Teil der Menschen, gerne zeitlebens unmündig bleiben; und warum es anderen so leicht wird, sich zu deren Vormündern aufzuwerfen. Es ist so bequem, unmündig zu sein.“
Friedrich Nietzsche
Der Mensch balanciert über den Abgrund – nur so kann er sich transzendieren, nur so kann er über sich selbst hinausgehen.
In diesem Drahtseilakt erkennt sich der Authentische einmal mehr als Schaffender, begreift sich dieser als unter leerem Himmel tänzelnd, erkennt er seine Freiheit durch den Tod Gottes
( Lisz Hirn über Nietzsche )

In every dream home a heartache
Die Krähen schrei’n“ – „Vereinsamt“ – „Der Freygeist“ – „Abschied“ – „Heimweh“ – „Aus der Wüste“
Heimaten in Brasil und Paraguay – All that lovely messy homes
Nietzsche hat seinem bekannten Gedicht von 1884 sechs verschiedene Titel gegeben. So gibt es auch unzählige Interpretationen. Für mich ist der Titel Der Freygeist und die positive Auslegung des Gedichtes von libica als Beschreibung einer notwendigen Transformationsarbeit in der Entwicklung der Seele am Zutreffendsten. Zarathustra liefert eine Grundlage.
Drei Verwandlungen nenne ich euch des Geistes: wie der Geist zum Kamele wird, und zum Löwen das Kamel, und zum Kinde zuletzt der Löwe.“ (Also sprach Zarathustra, Teil 1)
( … ) Der im Gedicht ( Der Freygeist ) beschriebene Prozess wäre Nietzsche zufolge für die zweite Metamorphose zum Kind geradezu notwendig, denn zunächst muss man der (trügerischen) Wärme der Heimat gewahr werden, da ja sonst keinerlei Anlass besteht, den Kamelstatus zu ändern. Daher wird der eingefleischte Kamelgeist von diesem Gedicht wahrscheinlich nach wohligem Schauer wirkungsvoll abschreckt sein und sich sodann gleich wieder an Gleichgesinnte kuscheln ( … )
( … ) Aber wir müssen bzw. dürfen nicht ewig auf Wanderschaft sein, denn der nächste Winter kommt bestimmt und daher
Weh dem, der keine Heimat hat!
Diese Schlusszeile fasse ich eher als Ansporn (wehe dem der noch keine (neue) Heimat (gefunden) hat) denn als reine Drohung (wehe dem der keine Heimat mehr hat) auf.
Man könnte das Gedicht daher neben der eindringlichen Warnung durchaus optimistisch als notwendige Phase interpretieren, bevor sich der nihilistische Löwe zum lebensbejahenden Kind weiterentwickeln kann. (Quelle: Salon Libica )
Nietzsche ist ’starker Tobak‘. Ihn zu verstehen erfordert ein gerüttelt Maß an Aufgeschlossenheit und Gedankentiefe.
Der Bildreigen aus Asunción vermittelt eher „Tristesse“ als Aufbruch !
yes, das sind genau die Orte wo die ersten Zeilen des Gedichts hochkommen, zerrissen, heimatlos, was machst Du hier ?
Really enjoyed reading ur blog. acdcdgebeddk
thx, Johna